Dr. Markus Schäpe FA f. VerkR

Leistungsfreiheit in der Kasko bei relativer Fahruntüchtigkeit

Bei grob fahrlässiger Herbeiführung eines Unfalls ist die Kfz-Versicherung gemäß § 81 Abs.2 VVG berechtigt, ihre Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Eine Leistungskürzung auf Null bleibt hierbei – in Gegensatz zu Fällen vorsätzlicher Tatbegehung – besonderen Ausnahmefällen vorbehalten. Einen solchen Ausnahmefall sah das OLG Saarbrücken (Urteil vom 12.10.2022, Az. 5 U 22/22) und befasste sich mit dem Anscheinsbeweis bei relativer Fahruntüchtigkeit gegen den Versicherungsnehmer.

   

I. Sachverhalt

Die Versicherungsnehmerin kam gegen 4:00 Uhr morgens mit ihrem Fahrzeug bei einer Autobahnabfahrt auf nasser Fahrbahn ins Rutschen und kollidierte nach einer Fahrt über den Grünstreifen mit einem Baum. Um 7:37 Uhr wurde eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 0,85‰ festgestellt. Die Versicherungsnehmerin trug vor, dass ein anderes Fahrzeug vor ihr grundlos gebremst habe und ihr Fahrzeug sei aufgrund einer Gefahrenbremsung ins Rutschen gekommen. Der Unfall hätte jedem passieren können und stünde nicht in Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum. Die Vollkaskoversicherung, bei der die Versicherungsnehmerin ihren Schaden in Höhe von 11.970 Euro abzgl. der Selbstbeteiligung geltend machte, berief sich wegen der Alkoholisierung auf vollständige Leistungsfreiheit.

  

Während das Landgericht der Klage statt gab, da dem Versicherer nicht gelungen sei, die Ursächlichkeit des Alkoholkonsums für den Unfall nachzuweisen, war die Berufung des Versicherers erfolgreich.

   

II. Begründung

Das OLG Saarbrücken verwies zunächst auf die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AKB) in Verbindung mit § 81 Abs. 2 VVG. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße außer Acht lasse. Ein solcher Verhaltensverstoß sei jedenfalls das Führen eines Fahrzeugs im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit, also ab 1,1 Promille. Dann spreche ein Anscheinsbeweis bereits für die zu beweisende Ursächlichkeit zwischen Alkoholkonsum und Schadenfall.

  

In den Fällen relativer Fahruntüchtigkeit müsse die Versicherung den Nachweis erbringen, dass der Unfall durch alkoholtypische Fahrfehler oder sonstige Ausfallerscheinungen verursacht wurde. An die Beweiskraft seien jedoch umso geringere Anforderungen zu stellen, je näher die BAK am Grenzwert von 1,1 Promille liege; zudem gelte der Anscheinsbeweis auch bei relativer Fahruntüchtigkeit.

  

Das Abkommen von der Straße ohne ersichtlichen Grund bei einfacher Verkehrssituation sei ein typisch alkoholbedingter Fahrfehler. Auch das verspätete Erkennen von Gefahrmomenten mit einer verzögerten oder überzogenen Reaktion des Fahrers deute auf eine Alkoholbeeinflussung hin. Die Versicherungsnehmerin könne sich von diesem Anscheinsbeweis nur entkräften, indem sie einen alkoholunabhängigen Geschehensverlauf plausibel erkläre. Hierzu muss sie konkrete Anhaltspunkte liefern, die mit zunehmender Höhe der BAK stärker ausfallen müssen.

  

Laut Feststellung des Sachverständigen lag die BAK zum Unfallzeitpunkt zwischen 0,85 und 0,99 Promille. Die Behauptung, dass dieser Unfall grundsätzlich auch einer nüchternen Person hätte passieren können, genügt nicht zur Erschütterung des Anscheinsbeweises eines alkoholbedingten Fahrfehlers. Nachvollziehbare Gründe, dass der Unfall auch ohne erhebliche Fahrfehler, die auf den Alkoholkonsum zurückzuführen sind, passiert wäre, konnte die Klägerin nicht vorbringen.

  

Der objektive Unfallverlauf mache einen typischen alkoholbedingten Fahrfehler deutlich. Ferner sei davon auszugehen, dass die Klägerin ohne vorherigen Alkoholkonsum allgemein vorsichtiger gefahren wäre.

   

Die BAK lag zurückgerechnet auf den Unfallzeitpunkt nah an der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,1 Promille. Erschwerend zu berücksichtigen sei weiter, dass die Klägerin die Alkoholisierung völlig unterschätzt habe, indem sie sich u.a. nicht mehr an die zu sich genommene Alkoholmenge und den Trinkzeitraum erinnern konnte, aber geglaubt habe, noch unter der 0,5-Promille Grenze zu sein und sicher fahren zu können. Ferner wurden Ausfallerscheinungen wie stark gerötete Augen, leicht verwaschene Aussprache und übersteigertes Panikverhalten nach dem Unfall polizeilich festgehalten.

    

Alle Umstände deuten auf eine mangelnde Selbstprüfung und eine Fehleinschätzung hin. Damit sei das Verhalten insgesamt einer Vorsatzsituation angenähert, was wiederum eine Leistungskürzung auf Null rechtfertigt und somit im Ergebnis zur Leistungsfreiheit führt.

III. Auswirkungen auf die Praxis

Obwohl die Versicherung den Nachweis dafür erbringen muss, dass der Unfall durch einen alkoholbedingten Fahrfehler oder sonstige Ausfallerscheinungen verursacht wurde, genügt hierfür der Anscheinsbeweis für die Kausalität zwischen Alkoholkonsum und Schadenseintritt. Damit ist es die Aufgabe des Versicherungsnehmers, den Anscheinsbeweis zu entkräften, was hier aufgrund der Umstände des Einzelfalls nicht gelungen ist.

Inwieweit sich in den Fällen relativer Fahruntüchtigkeit zukünftig tatsächlich eine Leistungskürzung auf Null durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch, dass bei einem BAK-Wert nahe am Grenzwert von einem entsprechend höheren Verschulden auszugehen ist und damit vermehrte Anstrengungen im Entlastungsvortrag des Anwalts erforderlich werden.

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27.02.2023

Informationen

OLG Saarbrücken
Urteil/Beschluss vom 12.10.2022
Aktenzeichen: Az. 5 U 22/22

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