Prof. Dr. Patrick Gödicke RiOLG, Frankfurt a.M./Karlsruhe

Dokumentation und Beweiswert - a) keine Beweisvermutung bei nicht dokumentierten Beschwerden

Der folgende Fall betrifft zunächst – in Anknüpfung an BGH 22.10.2019, VI ZR 71/17, Rn. 11 ff. – eine Fallkonstellation, in der nicht die Durchführung einzelner Maßnahmen streitig war, sondern ihnen vorausgehend der klinische Zustand des Patienten – konkret vorbestehende Beschwerden. Diese sind zwar (als Untersuchungs- bzw. Anamneseergebnisse) dokumentationspflichtig, im Fall mündlicher Äußerungen freilich aber nur dann, wenn sie überhaupt getätigt wurden.

 

Der Fall:

Der Kläger begehrt von der Beklagten materiellen sowie immateriellen Schadensersatz im Zusammenhang mit der endovaskulären Stentimplantation. Der Sachverständige führte hierzu schriftlich aus, dass sich aus den Behandlungsunterlagen kein Anhalt für einen Behandlungsfehler bei der Stentimplantation oder der Operation, mit der das Aneurysma spurium versorgt wurde, ergebe. Diesbezüglich habe auch der MDK-Gutachter anhand der Behandlungsunterlagen keine konkreten Versäumnisse aufgezeigt. Im Rahmen seiner Anhörung bemängelte der Sachverständige allerdings, die Behandlungsunterlagen ließen eine abschließende Bewertung, ab welchem Zeitpunkt eine Indikation zur Operation bestanden habe, nicht zu.

Das Landgericht maß dem keine Beweisbedeutung zu, was der Kläger mit seiner Berufung angreift.

 

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG bestätigte die Auffassung des Landgerichts:

„Aus dem Umstand, dass der klinische Verlauf der Beschwerden nicht im Einzelnen dokumentiert worden ist und sich den Behandlungsunterlagen damit aus Sicht des Sachverständigen nicht abschließend entnehmen lässt, ab welchem Zeitpunkt eine OP-Indikation bestanden hat, kann nicht auf

einen Behandlungsfehler geschlossen werden. Denn die unterbliebene Dokumentation begründet weder eine eigene Anspruchsgrundlage noch führt sie zur Beweislastumkehr hinsichtlich eines Ursachenzusammenhangs […]. Nach der zu § 630h Abs. 3 BGB ergangenen Rechtsprechung des BGH […] folgt lediglich aus der fehlenden Dokumentation einer aufzeichnungspflichtigen Maßnahme die Vermutung, dass die Maßnahme unterblieben ist. Darum geht es hier aber nicht. Denn unstreitig ist, dass die operative Versorgung des Aneurysma spurium am 5. Oktober 2016 erfolgt ist. Dass dies eine behandlungsfehlerhafte Verzögerung einer bereits früher gebotenen Behandlung darstellt, hat der hierzu befragte Sachverständige aber gerade nicht bestätigt. Weitergehende Schlüsse auf einen Behandlungsfehler können schon aus Rechtsgründen auch nicht aus der von ihm als zum Teil nicht hinreichend aussagekräftigen Behandlungsdokumentation gezogen werden. Gesichtspunkte, die dem Senat Anlass für eine ergänzende Beweisaufnahme bieten könnten, lassen sich zudem weder der erstinstanzlichen Beweisaufnahme noch dem Berufungsvorbringen entnehmen.

 

  

 

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13.07.2023

Informationen

OLG Dresden
Urteil/Beschluss vom 13.09.2022
Aktenzeichen: 4 U 583/22

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